An diesem sommerlichen Juli-Tag besichtigten 20 Mitglieder der Sektion Nautilus des WVR und 4 externe Gäste das interessante Hochwasserschutz-Projekt im Sihltal. Die beiden Führer Bruno (Bild 1, links) und Mischa (Bild 1, rechts) des Bergwerkvereins Käpfnach begrüssten uns pünktlich um 13:30 Uhr im Infozentrum in Langnau. Die beiden Experten führen normalerweise Gruppen durch das Tunnelsystems in Käpfnach -haben einige Nautiliis auch schon besucht-, das mit 80 km Länge diesen geplanten Stollen mit 2 km Länge fast bescheiden erscheinen lässt. Trotzdem beeindruckten ihre Ausführungen dann die in zwei Gruppen aufgeteilten WVRler-innen im Infozentrum wie auf der Baustelle vor Ort nachhaltig.
Die Sihl führt rund alle 10 Jahre mehr als 300 m3/sec., so dass sich die zwei pneumatischen Schleusen kontrolliert zu öffnen beginnen und der über diesem Grenzwert liegende Volumenstrom durch den Stollen in den Zürichsee fliesst (Bild 2: Hochwasser der Sihl). Das 500-Jahr Hochwasser wird mit 600 m3/sec. erwartet, was ungefähr 2/3 des hochgehenden Rheins in Schaffhausen vor zwei Monaten entspricht.
Die Baustelle des Einlaufbauwerk ist etwa 160 m lang (Bild 3). Das Wehr besteht aus einer etwa 100 m langen Betonmauer und zwei darauf befestigten, luftgefüllten Schläuchen (pneumatische Schleuse). Bei normalem Wasserstand der Sihl und bei ungefährlichen Hochwassern versperrt das Schlauchwehr den Einlauf in den Stollen. Melden die Messgeräte am Oberlauf der Sihl, dass der Pegelstand den kritischen Wert übersteigt, senken sich die beiden 40 Meter langen Schlauchwehre automatisch und Sihlwasser kann in den Zürichsee abfliessen. Das von der Sihl mitgerissene Schwemmholz wird im imposanten Rechen vor dem Einlaufbauwerk aufgefangen.
Der Stollen liegt etwa 10 Meter unter dem Sihlniveau. Dementsprechend imposant war die Einhebung des 122 Tonnen schweren Bohrkopfs der Tunnelbohrmaschine (Durchmesse 7.5 m) in die tiefe Baugrube. Zum Zeitpunkt unserer Besichtigung war die Tunnelbohrmaschine bereits 140 m im Tunnel zusammengebaut (Bild 4, von der Plattform oben links konnten wir in die Baugrube blicken). Der Blick in die Baugrube zeigt einen mit Tübingen beladenen Transportwagen und das Förderband für den Ausbruch (Bild 5). Die Tunnelbohrmaschine (TBM) war zuvor in Airolo im Einsatz für den Bau des Zugangsstollens zur 2. Gotthardautoröhre. Sie wird auch auf dieser Baustelle von der gleichen Mannschaft bedient. Geplant ist ein täglicher Vortrieb von 17 Metern, so dass die TBM Ende 2024 in Thalwil den Durchbruch schaffen sollte. Die 45 Schneidringe des rotierenden Bohrkopfs schaben unter einem Druck von 4500 Tonnen Schnitzel aus dem Fels, die mit dem Förderbandsystem auf Güterwagen geladen werden. Hinter dem Bohrkopf werden die gesamthaft fast 1’800 Tübinge eingesetzt und vergossen. Sie ermöglichen die gewaltige Anpresskraft des Bohrkopfs. Einen guten Einblick in das Projekt hat Tele Züri gesendet: https://www.telez.ch/tele-z-aktuell-beitrag-12-03-2024-b2_48410/. Darin wird die Funktion des Einlaufwerks und auch des Auslaufwerks in Thalwil verständlich dargestellt. Das durch den sog. Freispiegelstollen (Querschnitt ist nie ganz gefüllt, Innendurchmesser 6.6 m) fliessende Wasser wird durch die Toskammer und das 90 Meter lange Auslaufwerk etwa 5 Meter unter dem Seespiegel in den Zürisee geleitet Bild 6). Dieser steigt maximal nur um einige Zentimeter.
Die gesetzlich vorgeschriebenen ökologische Ersatzmassnahmen des Projektes werden aktuell im Sihltal unterhalb des Einlaufbauwerks und in der Uferzone Garnhänki Richterswil realisiert. Der Standort Garnhänki ist nicht zuletzt der noch nicht umgesetzten Pflicht der ökologischen Ersatzmassnahmen für den neuen Hafen in Richterswil geschuldet. Der alternative Uferabschnitt zwischen Horn und Mülenen wurde auch geprüft, aber als zu teuer und technisch aufwändig (Arbeiten wegen Bahntrassee nur vom See möglich) verworfen.
Das Fällen der Rosskastanienallee entlang dem Garnhänki-Ufer löste bei Gegnern wie Befürwortern starke Emotionen aus. Die Entscheidung war politisch korrekt, jedoch während 20 Jahren zu wenig thematisiert worden, auch nicht vom Wassersportverein Richterswil. Augenfällige, bereits sichtbare Merkmale sind das vergrösserte, aber leider schon versprayte Känzeli, die grosse Baumgruppe, die zu einer kleinen Insel wird sowie die ins Flachufer reichende Plattform (Bild 7).
Dieses Jahrhundertbauwerk des Kantons Zürich wird rund 175 Mio. Fr. kosten. Doch diese Summe muss in Relation zu einem Schadenpotential Stadt Zürich von 6.7 Mrd. Fr. bei Extremhochwasser (alle 500 Jahre wird eine Wassermenge von 600 m3 pro Sekunde erwartet) gesetzt werden. Zusätzlich müssten noch die kaum bezifferbaren Schäden aus Betriebsunterbrüchen von SBB, Kommunikationsfirmen etc. berücksichtigt werden, welche die ganze Schweiz treffen können.
Am Ende der Besichtigung beantworteten die beiden Führer noch Fragen aus dem Publikum. Wir bedankten uns bei beiden Führern mit je einem Richterswiler Bildband «Unser Dorf am Zürichsee» und einer persönlichen Widmung und mit einem Trinkgeld für diese grösstenteils ehrenamtlich erbrachten Informationen. Ueberrascht hat uns v.a. dass die Führungen grösstenteils durch Mitglieder des Bergwerkvereins Käpfnach erbracht werden. Eine weitere Bestätigung der Wichtigkeit aktiver Vereine in der Schweiz -WVR gehört auch dazu. Durstig und etwas müde von den vielen beeindruckenden Informationen gönnten wir uns noch etwas Kühles im Restaurant Bahnhof. Einigkeit herrschte: ein spannendes, risikogerechtes und somit sinnvolles Projekt.
Bemerkung René: Den Bericht habe ich aufgrund unserer direkten Betroffenheit in Richterswil mit zusätzlichen Infos ergänzt. Immerhin ist unser Beitrag an den rund 4 Mio. Fr. Gesamtkosten für diese ökologische Ersatzmassnahmen ein Viertel. Zudem verliert die Gemeinde ein paar Tausend Quadratmeter, die im Zürisee verschwinden.
Dieser Bericht sollte auch für diejenigen, die nicht teilnehmen konnten, einen umfassenderen Eindruck von diesem schlussendlich wenig sichtbaren Projekt geben. Wer generellere Information über die Hochwassergefahr von Zürich und Umgebung wünscht, kann den vom Kanton Zürich über den Hochwasserschutz erstellten eindrücklichen Film aufrufen. Darin spielt der Entlastungsstollen die Hauptrolle.